Die fünf Tage von Tritonus – Teil 7

22. April 2010
Ein halber Donnerstag: Psychosenpart und Bart Simpson
11.05 Uhr
Noch keiner da außer Ian, der schon dabei ist, einen „Bounce“, quasi Rough Mix von „Wolf und Brigitte“ zu machen, für die Plattenfirmenvorspielaktion heute abend. Das schöne Lied, das gestern abend und heute morgen dem Protokollanten als Ohrwurm nachschlich, klingt durch die mal wieder frisch gesaugten, duftenden Flure. Es ist eine Art von Idyll.

„Wenn die anderen schon längst im Zelt waren und schliefen
saß Wolfgang alleine am Strand“, singt Judith

Ian kommt in die Küche, Tee holen, und fragt den Protokollanten, mal ganz ehrlich: „Tell me: Does this sound like a Wir sind Helden record?“ Ja, das tut es. Auf seine Art.

„I’m gonna bounce the next one“, sagt Ian und bounced dann „Dramatika“ mit seinem sehr sommervormittagstauglichen Akustik-Shuffle.

12:24 Uhr

Immer noch niemand da. Ian bounced oder comped (oder was auch immer) mittlerweile seit einiger Zeit „Was uns beiden gehört“. Das rhythmische Akkordeon-Intro hallt durch die Flure, immer und wieder immer wieder. Offenbar ist das eine etwas schwierig hinzukriegende – um nicht zu sagen „tricky“ – Stelle am Anfang und Ian geht immer wieder auf Anfang. Hundertmal dieses Akkordeon-Intro, das hundertmal immer wieder just dann abbricht, wenn der abhebende Beat einsetzt. Auraler coitus interruptus ad infinitum. Oder so. Es ist ein bisschen qualvoll.

13:00 Uhr

Judith, Pola laufen mit Baby Mimi und Sitterin Isa ein. Es wird nach Kräften in der Küche herumgesessen. Wenig passiert. Sehr wenig passiert. Nebenan comped Ian nun schon seit anderthalb Stunden am Akkordeon von „Was uns beiden gehört“ herum, und je länger man’s hört, desto mehr schallerts einem im Kopf und desto zwingender wird der Nr.-1-Hit.

Judith erzählt, wie Ian und sie sich damals bei ihrem ersten Telefonat über die Demos unterhielten, die sie Ian geschickt hatten und er sich besonders begeistert zeigte von „Was uns beiden gehört“: „The ‚psychosis’ part totally pays off!“, freute er sich. Und Judith fragte sich, was er bloß meinen könnte. Der Psychosenteil? Gut, vielleicht eine gewisse psychotische Grundstimmung, die dem Song innewohnte … Ian meinte natürlich das Break mit der in Stakkato gesungenen Zeile „ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss“. Der weiße Neger Wumbaba.

Zwischendurch kommt Ian aus seiner Vergrabung im Regieraum. Kurzes Fachgespräch über Dolly Parton, die nach einhelliger Meinung der Diskutanten unterschätzt wird. Judith erzählt, wie sie, die von jeher Country-o-phile einmal versuchte, den notorisch Country-abgeneigten Jean für Country zu erwärmen und zugegebenermaßen „at the wrong end“ anfing, indem sie ihm gleich mal zum Auftakt Dolly Parton auftischte.

13:56 Uhr

Jetzt wird „Dumm die, die dumm“ gebounced, mit dem Quietsche-Synthesizer. Bounce bounce. Quietsch quietsch.

Pola ist schlapp. „Alles okay, ich hab nur gestern Nacht eine Stunde zu wenig Schlaf bekommen. Oder sagen wir anderthalb Stunden.“ Wohl dem, der sein Schlafkonto so genau im Blick und so unter Kontrolle hat, dass er sich – wie nun Pola – mal eben auf die Couch legen und einen Ausgleich herbeiführen kann. Der Mann kann aus dem Stand einschlafen! Also: im Liegen; aber aus dem Stand!

Ian hätte da noch was anderes anzubieten: „Do you wanna try the Davenport Pick-Me-Up? Tea and Berocca.“ Den Davenport’schen Wiederaufrichter? Pola ist eh schon eingepennt – aber uns würde das interessieren. Berocca? Nie gehört. „Berocca?“, sagt Ian. „It’s the secret of my …“ Success? Durchhaltevermögen? Was ist das für heißes Zeug? Er zeigt ein Plastikröhrchen mit „Energy Release“-Auflösetabletten, Geschmacksrichtung Orange, abgepackt von einer großen britischen Supermarktkette. Ein Vitamin-Energy-Konzentrat-Gebräu, das es, sagt Ian, in Deutschland nicht zu kaufen gibt. Und Ians Vorrat geht zur Neige. Er muss sich wohl ein paar Röhrchen einfliegen lassen aus England. So was haut natürlich die Kosten so einer Plattenproduktion immens in die Höhe – aber wenn’s hilft …

14:08 Uhr

(Nachtrag August: Wie es der Teufel oder wer auch immer will, dreht sich viel in den nächsten Absätzen um zwei Songs, die – wie weiter oben schon einmal erwähnt – letztlich nicht auf dem Album gelandet sind. Hier ist Hoffnung, dass die Absätze trotzdem interessant gefunden werden können. Zumal anzunehmen ist, dass diese Lieder früher oder später das Licht der Welt erblicken werden, oder wie Jean-Michel Tourette zwischenzeitlich bemerkte: „Wir haben die ja nicht gelöscht.“)

Während draußen ihr Schlagzeuger/Ehemann ruht und der Rest der Band noch in Freizeit weilt, ist Judith in die Gesangsbox eingezogen. Am Nachmittag sollen jetzt ein paar Gesangsspuren entstehen – mit speziellem Augenmerk darauf, ein paar Songs zu komplettieren, die man eventuell dann heute abend noch dem Plattenfirmenmann präsentieren kann.

Zunächst „Lonely Planet Germany“. Ian spielt Judith den Song vor, wie er jetzt dasteht und weist auf eine Schwierigkeit hin. Es gibt ein Problem mit der Phrasierung des Wortes „Germany“, die sie falsch eingefädelt haben und die nun einfach nicht richtig im Rhythmuskonstrukt sitzt. Es hilft wohl nichts: Judith wird früher oder später noch mal ran müssen an dieses Lied, das eine solche „bitch to sing“ ist.

14:20 Uhr

Erst mal macht man sich an „Dumm die, die dumm“. Wir erinnern uns (oder auch nicht): Das eckig hoppelnde Pop-Ding mit dem bratenden Synth.

„Womit beeindruckt man die Welt?
Na ja, ein Held wär gut
Womit beeindruckt man den Held?
Ein bisschen Geld wär gut
Aber wenn der Held sich generell mit jenem Geld schwer tut
Oder sich einfach grade gern in seinem Zelt ausruht

Dann singt er …
Dumm die, die dumm…“, singt Judith

Ian: „You’re singing it great, you know. No need to change anything. Just sing it, let it happen. Don’t think about it.“

Zweiter Take.

Judith verpasst den Einsatz.
Judith: „Sorry, now I wasn’t thinkig about it at all.“

Da ist wieder diese rätselhafte Anmerkung von Ian, die wir in diesen Tagen schon ein paar Mal gehört haben: „Be careful with the Bart.“ Oder „That sounded a little bit barty.“

Bart? Was ist das nun wieder für ein Fachausdruck?

Judith erklärt’s mit einem Seitenblick: „Bart Simpson.“

Oh. Es ist der dezente Hinweis, die Sprachregelung zwischen Ian und Judith, wenn ihre Stimme an einer Stelle zu quäkig wird. Wie Bart Simpson eben.

14:38 Uhr

Ian: „Okay, one for luck. No, two for luck.“

TWO for luck? How many more for luck?

Sie sind dabei, guide vocals für den Song zu machen, das sind nicht die Lead Vocals, sondern nur Arbeitsunterlage für die nächsten Overdub-Sessions. War diese Information hilfreich für Sie?

14:39 Uhr

Nächste Strophe.

Ian beschimpft ein wenig seinen widerspenstigen Computer und bestellt dann bei Judith „noch ein paar zweite Strophen“.

Ian: „Let’s have a couple more second verses.“

„Womit erobert man das Land?
Ein bisschen Tand wär gut
Ein Diamant aus Glas
Ein Freundschaftsunterpfand wär gut
Ein gülden plastikernes Band für jede Hand wär gut
Und wenn auch nicht grade ein Schloss
Dann doch ein Dachgeschoß aus Sand“, singt Judith

Judith: „How am I ever gonna do this live?“

Was für ein Zungenbrechertext. Trotzdem versingt sich Judith nur zweimal.

Judith: „I was cheating. I left a few words out.“

Noch einmal die zweite Strophe. Judith hat wieder gemogelt (nicht, dass es der Protokollant gemerkt hätte)

Judith: „Ich hab wieder das Wort rausgelassen. Aber ich glaube, das kann ich eh weglassen.“
Ian: „Where? In the pickup? (Auftakt) Yeah, there’s lot of words in there, aren’t there. Theres’s lots of ‚gllmb glglgl’ in there. That’s not even German, is it?“

14:50 Uhr

Judith: „This is a fun song.“
Ian: „Yeah. I’m really enjoying this. I mean, I don’t understand the lyrics, but on the dumb straight-ahead pop side, it’s just very pleasing.“

Noch zwei Takes letzte Strophe. Und noch zwei.

Ian: „Okay, let’s do one more.“

14.55 Uhr

Jetzt Refrains. Refrains. Take um Take.

Dum didi dum didi dum didi dum didi dum di di didi dum dum di di dum di dum dididi dum ….

Judith kommt – verständlicherweise – mit den Dums etwas durcheinander.

Judith: „I didn’t find the right place, I have to end on the next ‚dum’.“

What dum exactly?

„Careful not to get too barty!“, warnt Ian zwischendurch.

Es gibt offenbar von der Band in der Vergangenheit geäußerte Bedenken, dass das „dum di di dum“ im Auslauf dann etwas zu sehr nach Feist klingen könnte, weil der Feist-Song „1.2.3.4“ auch so ein ähnliches Outro hat, es handelt sich um ein Melodiepartikel, das Jean „the sweet melody“ nennt. Diese Bedenken wischt Ian jetzt einfach mal vom Tisch.

Ian: „That’s great, actually. Definitely some freestylin didi-dums. Let’s do a couple more of these and forget about Feist. I don’t care.“

Halb vier

Mittagspause.

Fortsetzung folgt …

Lesen Sie nächstes Mal, wie der gefragte Rockstar Jean-Michel Tourette sich zwischendurch wohlige „Erdung“ verschafft, warum Pola Roy seinen Mitmusikern heute „Ribery-mäßig Gewalt antun“ will und warum es unfair wäre, auf dem Banjo herumzuhacken.